zuerst veröffentlicht auf Kewils Blog "Fakten Fiktionen" 16.05.2008
Wie in Chrestomathia Erdoganica (1) dokumentiert, hatte Erdogan im Jahre 1996 in einem Interview mit einer türkischen Pressejournalistin Aussagen getroffen, aus denen sich eindeutig schließen läßt, daß er die Demokratie als ein Mittel zur Errichtung einer schariatischen Staatsordnung betrachtete.
Wie man sich denken kann, drückte sich Erdogan in trautem Kreis unter Gleichgesinnten noch deutlicher aus, wie ein Videoclip von einer Ansprache zeigt, die Erdogan im Jahre 1997 in Toronto vor einer amerikanischen muslimischen Jugendorganisation, der MAYA (”Muslim American Youth Association”), hielt. Der Videoclip liegt auf Youtube vor.
Hier die Übersetzung:
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“Das Morgengrauen einer Religion bricht an und dieses Morgengrauen drängt die Menschen dazu, darüber nachzudenken, welche Dinge wohl dieses neue Morgengrauen bringen wird.
Die modernen Ruinen der industriellen Zivilisationen verschwinden, und in Sorge darüber, was wohl unter diesen Ruinen hervortreten mag, erwartet die Menschheit ein neues Szenario, eine neue, unter den Ruinen hervorkommende Epoche.
Denn unter diesen Ruinen wird eine neue Zivilisation hervorkommen, und ich bin davon überzeugt: das 21. Jahrhundert wird ein Jahrhundert sein, in dem die Zivilisation des Islams vorherrschen wird. [Zuhörer: dreimal Allahu akbar]
Niemand wird die Welle dieser Zivilisation aufhalten können.
Und alle, die sich an der Welle dieser neuen Zivilisation beteiligen, werden dafür überreichlichen Gotteslohn noch und noch erhalten.
Und wir müssen auch dies wissen: Alle, die sich an der ehrenvollen Aufstieg dieser neuen Zivilisation, der Zivilisation des Islams, nicht beteiligen, werden dazu verurteilt sein, in Erniedrigung zu leben.
Und die Muselmanen werden diese ihnen anvertraute Aufgabe wieder da aufnehmen, wo sie sie liegen gelassen hatten - müssen sie wieder aufnehmen. [Zuhörer: Allahu akbar]
Und in den letzten Zeiten, in den letzten Zeiten des 20. Jahrhunderts, wurden Verträge, Abkommen unterschrieben.
Und in diesen Abkommen geht es um Demokratie, um Menschenrechte, um freie Marktwirtschaft.
Gut, aber welche Demokratie?
Soll diese Demokratie Ziel oder Mittel sein?
Genau das muß diskutiert werden.
Aus unserer Sicht kann Demokratie niemals Ziel sein. Wenn wir Demokratie wissenschaftlich betrachten, sehen wir, daß sie ein Mittel ist.
Wenn die Demokratie die Manifestation des Volkswillens ist, ist es ein Mittel, damit als ihr Ergebnis das hervortritt, was das Volk will.
Daher müssen diejenigen, die sagen, daß sie an die Demokratie glauben, sich auch ihrem Ergebnis fügen.
Aber in gewissen Gegenden tun sie das nicht.
Sie sagen, sie glaubten an die Demokratie, aber sie fügen sich nicht ihrem Ergebnis.”
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Zu seiner Einschätzung der Demokratie als eines Mittels und nicht eines Ziels der Politik steht Erdogan auch heute noch. Allerdings entschärft er seine Aussage, indem er nun auch die Religion zu einem Mittel statt einem Ziel erklärt. So sagte er im Frühjahr 2007 auf einem Kongreß des Internationalen Presse-Instituts gegenüber ausländischen Journalisten:
“Alle Systeme sind ein Mittel. Die Demokratie ist ein Mittel, der Laizismus ist ein Mittel, auch die Religionen sind ein Mittel. Das Ziel ist das Glück der Menschen. Können Sie mir einen Gelehrten zeigen, der die Demokratie ein Ziel nennt? Das können Sie nicht. So etwas gibt es nicht. In der Türkei gibt es Leute, die sagen: ‘Tayyip Erdogan hat das gesagt’, und mich deswegen angreifen. Aber so denke ich.”
Es ist unschwer zu erkennen, daß Erdogan mit dieser Aussage Takiyya betreibt. Ein Moslem, der den Islam ernst nimmt, und das darf man im Falle Erdogans voraussetzen, kann den Islam nicht einem höheren Zweck als Mittel unterordnen. Und erst recht wird er den Islam nicht als eine von vielen Religionen, die alle gleichermaßen als Mittel zur Erreichung desselben Ziels dienten, verstehen. Dies ernsthaft zu glauben und zu bekennen, gilt innerhalb des Islams als kufr, als Verleugnung des Glaubens. Erdogan betätigt sich aber, indem er diese Aussagen vor der Weltöffentlichkeit trifft, nicht als Prediger, als Imam oder als Glaubensbekenner, sondern als Politiker, der den Gegner täuscht, zu einem Ziel, das er verbirgt. Er begeht also keinen Kufr, sondern übt Takiyya aus.
1994 sagte er im trauten Kreis seiner Anhänger (dokumentiert in Chrestomathia Erdoganica (4)):
"Andauernd sagen sie: ‘Der Laizismus geht verloren, der Laizismus geht verloren!’ Ja, wenn diese Nation es so will, wird der Laizismus selbstverständlich verloren gehen. Das ist nicht zu verhindern. Man kann diese Nation nicht mit Zwang unter Kontrolle halten. Der Nation zum Trotz läuft das sowieso nicht.”
“Man kann nicht gleichzeitig laizistisch und muselmanisch sein! Entweder bist du Muselmane oder laizistisch!
Wenn man beides zugleich ist, ist das so, wie wenn zwei Magnete sich gegenseitig abstoßen! Beides zugleich zu sein, ist ein Ding der Unmöglichkeit! Und weil dem so ist, kann niemand, der sich Muselmane nennt, zur Seite gehen und sagen: “Ich bin gleichzeitig auch laizistisch”. Warum? Weil Allah, der Schöpfer des Muselmanen, definitiv die Souveränität besitzt!”
Im Jahre 2007 dagegen gibt er sich geradezu als Anwalt des Laizismus. Auf dem besagten Kongreß des Internationalen Presse-Instituts sagte er (Videoclip auf Youtube; der letzte Satz aus ‘Güncel Haber’):
“Der Laizismus ist keine Religion, der Islam ist eine Religion. Wir messen Laizismus und Religion nicht mit derselben Meßlatte. Als wir aufbrachen, sagten wir, die AKP ist keine religionszentrierte Partei, sondern eine menschenzentrierte Partei. […] Ich sage es ganz deutlich. Erstens: Der Laizismus wahrt zu allen Glaubensüberzeugungen die gleiche Distanz. Und er ist die Garantie für alle Glaubensüberzeugungen. [Zweitens:] Eine Person kann nicht laizistisch sein. Nur der Staat kann laizistisch sein. Gut, wenn jemand von sich sagt, er sei laizistisch, weil er einen laizistischen Staat verteidigt, ist das in diesem Sinne in Ordnung. Aber wenn Sie den Laizismus als eine antiislamische Haltung hinstellen, begehen Sie einen Fehler. Das ist es, was ich erklären wollte. Ich vermische diese beiden Dinge nicht.”
“Wir sind alle für Demokratie und Laizismus. Davon weichen wir nicht ab.”
Wenn der Laizismus wirklich die Garantie für alle Religionen sein soll, wie Erdogan hier erklärt, dann sollte z.B. das Christentum in der Türkei dieselben Freiheiten haben wie der Islam, sollten Kirchen mit derselben Selbstverständlichkeit gebaut werden dürfen wie Moscheen, sollte christliche Mission genauso selbstverständlich sein, wie islamische Dawa, sollte der Verkauf und der Genuß von Alkohol, die Produktion und der Genuß von Schweinefleisch genauso selbstverständlich sein, wie die Produktion und der Genuß von Tee und Halalfleisch. All dies trifft aber nicht zu, und die AKP ist alles andere als eine politische Partei, die sich für die Gleichberechtigung des Christentums oder die Selbstverständlichkeit des Verkaufs und des Konsums von Alkohol oder Schweinefleisch einsetzt.Diese Worte Erdogans sind also nichts als entgegenkommendes Wortgeklingel, um seine Gegner und den ahnungslosen Westen an der Nase herumzuführen.
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Quellen:
Erdogans Ansprache vor der MAYA in Tronto 1997: Video auf Youtube
Interview mit Erdogan im Jahre 2007 (Kongreß des ‘International Press-Institute’): Güncel Haber [2018: Link ist nicht mehr aktiv]
Videoclip aus diesem Interview (Erdogan über Laizismus): Video auf Youtube
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